Immer in Kontakt bleiben: WhatsApp beschleunigt die Kommunikation.

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FOMF? War im Zusammenhang mit WhatsApp nicht immer von FOMO - "Fear of missing out" - die Rede? Stimmt, denn die "Angst, etwas zu verpassen", sobald eine Nachricht über einen längeren Zeitraum - aus jugendlicher Sicht sind das in etwa zehn Minuten - ungelesen bleibt, ist ohne Zweifel vorhanden. Doch ernsthaft. Was sollte man fürchten zu verpassen, wenn man bedenkt, dass der typische Chatverlauf wie folgt aussieht:

A: "hey:)"
B: "hey:)"
A: "wg" (Anm.: Wie geht's?)
B: "gut dir"
A: "auch"
B: "Wm" (Was machst?)
A: "nix"

Zeigt sich einer der beiden Chatpartner besonders motiviert, leitet er dann noch eine diskretere Frage ein, aber im Normalfall endet hier die Konversation. Zumindest für eine Stunde, dann wiederholt sich der ganze Vorgang. "Chattfrei" hat man für diese Stunde natürlich nicht, denn ist die eine Unterhaltung beendet, leuchtet schon das nächste "hey:)" am Bildschirm auf. Konverstationshungrig wird dann "tiefgründig" bis zum finalen "gn8" (Gute Nacht) gechattet, bis man von dem vertrauten WhatsApp-Ton und einem "Moagn" (Morgen) sanft aus dem Schlaf geholt wird.

Immer das Smartphone griffbereit

Man sieht schon, FOMO hinkt etwas in seiner Definition, Angst zu haben, etwas zu verpassen. FOMF bringt es meiner Meinung nach schon eher auf den Punkt. "Fear of missing friends" steckt nämlich tatsächlich hinter dem jugendlichen Drang, ständig das Smartphone griffbereit zu haben und im Minutentakt auf Nachrichten zu antworten. Wie würden Sie sich sonst das hektische "Zum-Smartphone-greifen" eines jeden Teenagers erklären, sobald das Handy in der Tasche vibriert?

Denn bleibt eine Nachricht für mehrere Minuten unbeantwortet, löst das eine Kettenreaktion von verheerenden Konsequenzen aus, die der "Nichtantwortende“ dann zu tragen hat. Je nach Chatpartner können sich diese Folgen unterschiedlich bemerkbar machen.

"Haaalloooo?!!", "Nerv ich dich?"

So werden engere Freunde erstmal "Haaalloooo?!!", "Alles ok?!!!" oder "Was los?!!!!" fragen. Bleibt die Antwort weitere Minuten aus, beginnen sich Selbstzweifel beim Konversationspartner breit zu machen. "Bist böse auf mich?", "Nerv ich dich?" oder "Hab ich was falsch gmacht?" werden dann zu zentralen Fragen. Die Situation spitzt sich weiter zu, wenn noch immer jegliche Reaktion ausbleibt, denn dann fühlt sich der Gesprächspartner in seiner Annahme, selbst schuld zu sein, bestätigt.

Auf Enttäuschung folgt bekanntlich Wut - so auch in der Welt von WhatsApp:

"Alles klar. Du kannst mich mal."
"Ignorier mich ruhig, kommt alles zurück."
"Hast wohl wen Besseren zum Schreiben."
"Glaubst du bist wer od was?"
"Sry, dass ich der Dame nicht gut gnug bin."
"egoistic hoch 10."

Man sieht, es kann aus dem Vollen geschöpft werden, auf welche Art man seiner Empörung Platz machen will. Übrigens: Fernere Bekannte überspringen gerne die Phase des Selbstzweifels und kommen gleich zum "Wut-Part".

Der "Wut-Part"

Ist man nun selbst unglücklicher Empfänger von Nachrichten des "Wut-Parts", ist auch jede Ausrede - in solch einem Fall gibt es aus Fremdsicht nur Ausreden -, auch wenn sie noch so glaubwürdig klingt und vielleicht tatsächlich der Wahrheit entspricht, sinnlos.

Beantwortet man Nachrichten für mehrere Minuten oder sogar Stunden nicht, rasselt man auf sozialer Ebene bis ganz in den Keller, gilt als eingebildet, egoistisch, eitel, selbstverliebt, asozial und kann sich schon mal an die Arbeit machen, neue Freundschaftsanfragen zu verschicken.

Deshalb FOMF – "Fear of missing Friends"

Das grundlegende Problem dahinter ist womöglich, dass unsere Welt durch das Internet aus kommunikationstechnischer Sicht immer mehr zusammenschrumpft.

"The world is a village" - das erkannte der Medientheoretiker Marshall McLuhan schon in den frühen 1960er Jahren. Und genauso verhält es sich auch mit WhatsApp: Die Kommunikationsplattform gleicht einer Live-Übertragung, einer Unterhaltung in Echtzeit. Die Chatpartner sitzen sich quasi wie im "Real life" gegenüber und können sogar mitverfolgen, wann der Gesprächspartner "online" ist – also im übertragenen Sinne aufmerksam zuhört.

Und keiner grüßt zurück?

Da wundert es kaum noch, dass man auf WhatsApp wütend abgestempelt wird, antwortet man mehrere Minuten nicht. Denn wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie Ihre Arbeitskollegen grüßen und keiner grüßt zurück? Oder Sie sich beim gemeinsamen Mittagessen nach dem Befinden erkundigen, doch Ihr Gegenüber zeigt nicht die geringste Reaktion?

Vermutlich würden Sie zuerst einmal die Stimme heben - in WhatsApp lässt sich das durch viele Ausrufezeichen zum Ausdruck bringen. Im nächsten Schritt würden Sie sich ignoriert fühlen und sich fragen, ob Ihr Bekannter vielleicht Gründe hätte, in irgendeiner Art böse auf Sie zu sein. Doch letzten Endes würden auch Sie es aufgeben und sich denken, "Du kannst mich mal" und der Person in Zukunft aus dem Weg gehen. Auch das funktioniert in WhatsApp prima mit der Funktion "Kontakt blockieren".

Digitale Ungeduld

Ersichtlich wird also, dass die "Dimension der Zeit" in unserer digitalen Welt ein immer minimalistischerer und vor allem ein überbrückbarer Faktor wird, und dadurch auch die Erwartungshaltung auf Kommunikationsplattformen eine ganz andere, ungeduldigere ist, die so vor ein paar Jahren noch gar nicht möglich gewesen wäre.

Deswegen meine eigens kreiertes Akronym FOMF. Und weil Abkürzungen und Wortneuschöpfungen auf Plattformen wie WhatsApp sowieso boomen, schließe ich mit WISP. WhatsApp is social pressure. (Tina Zeinlinger, derStandard.at, 3.9.2014)